Replik zu Bernd Fittkau, von Gerd Hofielen

Replik zu Bernd Fittkau, von Gerd Hofielen

Home  /  Blog  /  Replik zu Bernd Fittkau, von Gerd Hofielen

15. Januar 2018 —

Lieber Bernd,

an zwei der Passagen Deines Artikels zur “Laissez-faire Regulierung” möchte ich anknüpfen. Sie bezeichnen die Aufgabe, der wir uns mit der GWÖ stellen, sehr treffend.

In dem Maße, wie die Politik ihre regulative Rahmenfunktion (z.B. gegenüber der Wirtschaft) aufgibt, erzeugt sie ein Machtvacuum, das von den mächtigsten gesellschaftlichen Mitakteuren okkupiert wird.

(Bernd Fittkau, Laissez-faire Regulierung, S. 2)

 

In unseren Gesellschaften – gegenwärtig wie historisch – gilt: Wer Macht hat, schafft Recht – zu seinem Vorteil. Ober sticht Unter. Es stellt sich die Frage, wie diese Machtlogik zu überwinden ist.

Aber ohne eine entsprechende Forderung des Souveräns – in unseren verfassten Demokratien: des „Volkes“ – im Zusammenspiel mit klugen Meinungsbildnern in den Medien setzen sich andere, gemeinwohl-behindernde und -zerstörende Regeln … im globalen Wettbewerb durch.

(Bernd Fittkau, Laissez-faire Regulierung, S. 3)

 

Wenn wir auf den Souverän setzen, finde ich es wichtig, die Möglichkeiten einer freien und aufgeklärten Bürgerbewegung zu diskutieren. Noch ist der Souverän der selbstverschuldeten Unmündigkeit nicht entronnen (1).

Die emanzipierte Bewegung des Souveräns setzt eine Freiheit und Aufgeklärtheit des Denkens voraus, die in unserer Kultur-Geschichte nur für kleine Minderheiten möglich war und ist. Die Mehrheit ist in einem Oben-Unten Denken befangen. Deshalb sind z.B. die eklatanten Reichtumsunterschiede auch für viele (resignierte? angepasste? pragmatische?) Bürger kein Thema, für dessen Veränderung man/frau sich energisch einsetzt; sondern sie werden der Natur des Menschen zugeschrieben. „Der Mensch ist des Menschen Wolf“ wird als Beschreibung der Natur des Menschen hingenommen. Thomas Hobbes, der den Satz geprägt hat, betonte deshalb die Notwendigkeit eines regelsetzenden Staates mit Gewaltmonopol. Aber die Wölfe unter den Menschen (die Eliten in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik) nutzen diesen Satz, der zur verbreiteten Auffassung geworden ist, um ihr Handeln zu motivieren und zu rechtfertigen. Ihr Motto ist „Mit den Wölfen heulen“.

 

Deshalb sind die Chancen der souveränen Demokratie gebunden an die Möglichkeiten der ethischen Reifung einer kritischen Masse von Menschen in allen Bereichen und Institutionen, damit die “Wölfe” unter den Menschen durch eine zivile Ordnung eingerahmt werden. Ohne diese Reifung führt auch die souveräne Demokratie nicht zu menschendienlichen Gesetzen. Wir können feststellen, dass die Institutionen mit ihren Ausleseprozessen dafür sorgen, dass die Ellenbogen-Menschen, die Karrieristen, eben die „Wölfe“, an die Schaltstellen kommen und die Entscheidungslogik und Kultur der Institutionen prägen.

Die “Wolfs-Energie” zu zivilisieren, das ist die Entwicklungs-Aufgabe der Menschheit und die wird besonders dringlich im Anthropozän, wo die Menschheit drauf und dran ist, die ökologischen Belastungsgrenzen zu überreißen. Die Entwicklung dieser ethischen Reife thematisieren wir bisher auch nicht in der GWÖ Diskussion. Dabei gibt uns gerade der Bezug auf die humanistische Werte-Ethik einen Rahmen, der es uns ermöglicht, weiter zu denken.

 

Zunächst ein Erklärungsversuch, weshalb es soviel Aggressivität, Gewalt und Vernichtungswillen unter den Menschen gibt:

Meines Erachtens können wir feststellen, dass Existenzunsicherheit und Abhängigkeit die ursprünglichen Lebenserfahrungen jeder Person sind. Je nach Behandlung, die jemand in dieser Situation der Verletzlichkeit erlebt, wird er/sie zum Subjekt vertrauensbildender oder angstbesetzter Erfahrungen. Die Summe dieser Erfahrungen ist die Grundausstattung des Denkens und Fühlens, die den Rest des Lebens aktiv bleibt. Noch erlebt der weitaus überwiegende Teil der Menschheit eine Kindheit in existentieller Fragilität. Das gilt selbst im gehobenen Bürgertum. Daher ist der Umgang mit anderen Menschen von Mangel an Vertrauen, Rivalität und Aggression durchsetzt.

Diese Unsicherheit führt zu unterschiedlichen sozialen Anpassungsmustern: Solidarität und gleiche Rechte oder Konkurrenz mit Überordnung oder Unterordnung. Die Versuchung, sich auf Kosten anderer zu bedienen und das eigene Leben leichter zu machen, ist permanent vorhanden und wird durch geschichtlich entstandene, strukturell-hierarchische Beziehungsmuster erleichtert und verstärkt. Die Wahl eines gleichberechtigten Verhaltens im Zusammenwirken mit anderen erfordert eine ethische Überzeugung von universellen, gleichen Rechten aller, um sich nicht der Muster der Herrschaft, Machtausübung und Ausbeutung zu bedienen. Nicht alle Menschen widerstehen dieser Versuchung. Es gibt im Gegenteil eine Minderheit von Menschen, die diese strukturelle Überlegenheit mit hoher Energie suchen und verteidigen. Das ist zu sehen am Verhalten der reichsten zehn Prozent der Bevölkerung und der Konzerne. Als persönlicher Durchsetzungsstil tritt dieses Verhalten zudem in allen Schichten und Gruppierungen auf.

 

Wenn dies als Erklärungsversuch in Umrissen akzeptabel erscheint, wäre zu fragen, wie eine Kultur-Entwicklung aussehen sollte, die zur Betonung gleicher Menschenrechte und Solidarität führt. Meines Erachtens ist dies ein Reifungsprozess, der mehrere Etappen durchlaufen sollte und für Personen wie auch für Institutionen und Unternehmen gilt:

Eine zivile, friedfertige und konstruktive Art des Umgangs mit anderen bei der Durchsetzung eigener Interessen zu finden, erfordert die Auseinandersetzung mit den eigenen Ängsten und aggressiven Impulsen, die häufig das Verhalten in Konfliktsituationen dominieren können.
Die Einsicht, dass nicht nur die eigene Existenz gesichert werden sollte, sondern dass andere ebenfalls ihre Existenz sichern wollen und dass dies nicht nur legitim ist, weil sie ihre eigenen Interessen verfolgen wollen und müssen, sondern sogar nützlich ist für die eigene Existenz. Denn in einem Umfeld, in dem alle prosperieren fällt es jedem leichter, erfolgreich zu sein.
Demzufolge setzt sich die Person/Institution auf diesem Einsichtsniveau nicht nur für die eigenen Existenzbedingungen ein sondern schützt auch die Commons, die Lebensgrundlagen aller (Luft, Wasser, Rechtssystem, Infrastruktur u.a.).

Des weiteren setzt sich die Person/Institution auf diesem Einsichtsniveau auch für die Aufrechterhaltung der Regeln der Fairness im gesellschaftlichen Verkehr ein. Es ist im Interesse des Wohls aller (Gemeinwohl, Gesellschaftsvertrag), dass die Prinzipien des Umgangs fair und dass die Regeln allen bekannt sind. Sonst können Ungleichgewichte, suboptimale Zustände und Konflikte entstehen, die einen Abzug vom Gemeinwohl bewirken.

 

Wer diese Stufen der Erkenntnis durchlaufen hat, kann der “selbst verschuldeten Unmündigkeit” entrinnen und zu einer AkteurIn werden, die lebensdienliche Werte entwickelt und umsetzet. Diese Person bzw. dieses Unternehmen lebt eine Werte-Kultur, die keine Inspiration durch andere mehr benötigt, sondern autonom wirkt. Mit Blick auf das, was für alle richtig ist, kann das für die eigenen Entscheidungen richtige bestimmt werden.

Damit ist Kant’s Kategorischer Imperativ bestätigt: Handle so, dass die Maximen deines Verhaltens zum allgemein gültigen Gesetz werden können. Das Eigeninteresse ist gewährleistet in einem Verhaltenssystem, das niemanden übervorteilt und das Resultat für das Gemeinwohl optimiert.

 

Wie können diese Einsichten in unserer gegenwärtigen, machtbasierten Gesellschaft eine mehrheitliche Wirkung entfalten? Dazu bitte hier weiterlesen

 

(1) Quelle: http://www.dober.de/religionskritik/kant.html

Kommentare

Die Kommentarfunktion ist derzeit deaktiviert.

GDPR Cookie Consent mit Real Cookie Banner